Dienstag, 24. Oktober 2017

W17–18 Korpus

Die Schrift 'Korpus' wurde 2009/11 von den beiden Schweizer Typografen Mika Mischler und Nik Thoenen gestaltet. Sie beruht auf der Beobachtung, dass ein Ergebnis immer von der Technologie beeinflusst ist, mit der etwas hergestellt wurde.
   Ausgangspunkt für die Untersuchungen zur ‘Korpus’ war ein Schriftmusterbuch des Wiener Verlags Waldheim-Eberle AG aus dem Jahr 1920. Das Buch haben Thoenen und Mischler zufällig in einem Antiquariat gefunden. Es setzt sich aus verschiedenen Musterseiten mit Textbeispielen für literarische Werke zusammen. Dazu wurden Bleibuchstaben mit Hand gesetzt und anschliessend im Buchdruckverfahren gedruckt. Eigentlich war die Publikation aus heutiger Sicht für ein Schriftmusterbuch überaschend schlecht gedruckt und schlecht gesetzt worden und genau das hat die Gestalter interessiert. Warum nicht ein Druckbild bewusst stören?
   Für den Entwurf der Korpus haben die beiden Typografen aus dem Waldheim-Eberle-Schriftmusterbuch eine Art Gesamtkatalog von komischen Erscheinungsformen zusammengestellt. Dabei haben sie regelmässig auftauchende Unregelmässigkeiten beobachtet und ausgewertet – besonders häufig auftauchende Fehler wurden übernommen und in die Korpus übersetzt. Es wurden ausschliesslich 10-Punkt-Schriften ausgelesen, wodurch sich auch der Name der Schrift ergab: Im Bleisatz ist "Korpus" nämlich die Bezeichnung für die Schriftgröße mit der Kegelhöhe von zehn Didot-Punkten. Um die Gleichmässigkeit und Ausgewogenheit des Schriftbildes zu erhalten, war die gestalterische Regel das Gleichgewicht im Schwarzanteil zu erhalten. Das bedeutet, wenn bei einem Schriftzeichen an einer Stelle etwas dazu kommen soll, muss an einer anderen Stelle von dem selben Schriftzeichen etwas weggenommen werden. Es handelt sich also um eine Übersetzungsarbeit mit Interpretationen.
   Nik Thoenen beschreibt das so: "Bei dieser Schrift haben wir einfache Skizzen von ein paar markanten Buchstaben gemacht. Danach sind die Entwürfe digital, erst im Illustrator und danach im damals üblichen Schriftzeichnungsprogramm FontLab weitergeführt worden. Erst wurden alle Kleinbuchstaben gezeichnet, dann die Versalen. Es erfolgten viele Korrektur- und Überarbeitungsstuffen. Dieser Prozess hat über ein Jahr gedauert." 

Michael Mischler und Nik Thoenen gründeten 2007 Binnenland, um ihre gemeinsamen Schriftentwicklungen zu veröffentlichen und die digitalen Schriften zu vertreiben. Ihre Schriften beruhen auf geteilten phänomenologischen Erkenntnissen und sind von dem besonderen Interesse an der Wirkung von Schriftzeichen, zwischen signifikanter Form und Lesbarkeit, angetrieben.

Die Schrift Korpus wird über Binnenland vertrieben.

Korpus, Binnenland