Dienstag, 31. Oktober 2017

W17–18 Schriften

Die im westlichen Kulturkreis üblichen Druckschriften lassen sich unter dem Begriff Antiqua-Schriften zusammenfassen. Darunter versteht man Schriften, die auf dem lateinischen Alphabet basieren, die sich von den Schriften der römischen Antike (Capitalis Monumentalis, 1. Jhdt.) ableiten und bei denen die Bögen wie aus einer durchgehenden Schreibbewegung heraus gerundet sind. Anders bei den Gebrochenen Schriften, wie sie in der Gotik (Mitte 12. Jhdt.); sie basieren ebenfalls auf dem lateinischen Alphabet, bei ihnen sind die Bögen aber "gebrochen", also nicht gerundet.
   Zu den Antiqua-Schriftarten gehören vor allem drei Gruppen – die Antiqua (Schriften mit Serifen), die Linear-Antiqua (oder Grotesk-Schriften, Schriften ohne Serifen) und die Serifenlose Linear-Antiqua. Diese Schriftgruppen haben sich zwar in chronologischer Abfolge und in Beziehung aufeinander gebildet, trotzdem werden Schriften immer wieder in diesen historisch zuordenbaren Moden neu entworfen.

I) Antiqua

Renaissance-Antiqua – gehen aus der Buchschrift des 15. Jhdt., der humanistischen Minuskel hervor, die mit der schräg angesetzten Breitbandfeder im Wechselzug geschrieben wurde – Haar- und Grundstriche sind wenig unterschiedlich stark, die Rundungs-Achse ist nach links geneigt, die Serifen sind ausgerundet. Bei der Venezianischen Variante (15. Jhdt.) liegt der Querstrich des Kleinbuchstaben e schräg, bei der Französischen (16. Jhdt.) liegt der Querstrich gerade. Weitere Varianten wären die Holländische (17. Jhdt.) und die Englische Renaissance-Antiqua (18. Jhdt). Alle diese Schriften wirken dynamisch, lebendig und warm, sie eignen sich sehr gut als Leseschriften.
Venezianische Renaissance-Antiqua Beispiele: Centaur (1914), Lexicon (1992), Arno (2007)
Französische Renaissance-Antiqua Beispiele: Garamond (1530), Sabon (1967), Minion (1990)

Barock-Antiqua – oder Vorklassizistische Antiqua, denn es handelt sich um eine Übergangsform:  sie ist zugleich an den spielerischen Umgang mit der Breitfeder und die Ästhetik der Kupferstecher-Schriften angelehnt – größere Unterschiede in Strichstärken, aufgerichtete Rundungs-Achse, die Serifen sind wenig ausgerundet, tendenziell sind sie oben schräg und unten gerade angesetzt – diese Schriften besitzen einen warmen, individuellen Ausdruck und wirken dabei funktionsgerecht.
Beispiele: Baskerville (1757), Times (1931), Concorde (1969)

Klassizistische Antiqua – den Kupferstecher-Schriften am nächsten – Haar- und Grundstrich unterscheiden sich stark, senkrechte Rundungs-Achse, die Serifen sind waagrecht angesetzt und kaum merklich bis gar nicht ausgerundet – dadurch wirken solche Schriften kühler, rational und konstruiert.
Beispiele: Bodoni (1791), Walbaum (1803), Didot (1991)


II) Serifenbetonte Linear-Antiqua
   Im ersten Drittel des 19. Jhdt. wurden diese robusten Schriften speziell für Werbeplakate und Schilder als auch für das Druckverfahren von Tageszeitungen entwickelt. Damals nannte man sie Egyptienne. Charakteristisch für sie ist die auffallende Betonung der Serifen. Haar- und Grundstriche unterscheiden sich wenig in der Dicke oder sind, einschliesslich der Serifen, optisch einheitlich.

Statische Egyptienne – Serifenbetonte Linear-Antiqua, abgeleitet von der Klassizistischen Antiqua, ihre Formen ergeben sich durch Verdickung der Haarstriche aus der Klassizistischen Antiqua, bei Beibehalten eines Strichstärkenunterschieds, die Serifen sind stark ausgerundet/gekehlt oder gerade  – wirkt statisch, zugleich stabil und organisch.
Beispiele: Clarendon (1952), Glypha (1977)

Geometrische Egyptienne – Konstruierte Serifenbetonte Linear-Antiqua – möglichst einheitliche Strichstärken von Serifen, Grund- und Haarstrichen, Serifen sind rechtwinklig angesetzt – harte, unorganische Formen, die beim Lesen unbewusst auffallend stören.
Beispiele: Rockwell (1933)

Dynamische Egyptienne – Serifenbetonte Linear-Antiqua, abgeleitet von der Renaissance-Antiqua –  wirken stabil und zugleich lesefreundlich.
Beispiele: Joanna (1930), FF Scala (1993)

Zeitungsschriften – ihre Formen entstehen weniger aus stilistischen als aus pragmatischen Überlegungen – für den Druck mit schnelllaufenden Maschinen auf rauem Papier wurden dünne Linien verstärkt, wurde viel ausgerundet und sind die Punzen möglichst offen gehalten – wirkt robust und neutral.
Beispiele: Candida (1937), Swift (1987)

Italienne – die Serifen der Buchstaben sind übertrieben vergrößert – ausgefallene Zierschriften der amerikanischen Pionierzeit.
Beispiele: Italienne (2002)

Schreibmaschinen Schriften sind oft Egyptienne-Schriften, weil über die betonten Serifen der Leerraum der nichtproportional laufenden Zeichen (jedes Schriftzeichen besitzt die gleiche "feste" Breite, ist monospaced) optisch ausgeglichen werden kann.
Beispiele: Courier (1955), FF Trixie (1991)


III) Linear-Antiqua
   Serifenlose, Sans Serife (frz.) oder Lineale (eng.). Diese Gruppe entstand wie die Serifenbetonte Linear-Antiqua zu Beginn des 19. Jhdt. auf Grund des gestiegenen Bedarfs an Werbeschriften und wurde damals, weil sie in der Zeit so ungewohnt erschien, Groteske genannt. Bei einem Teil der Schriften ist die Strichstärke optisch einheitlich, bei dem anderen unterscheidet sie sich stark.

Lineal Neo-Grotesque – Ältere oder Statische Grotesk – Linear-Antiqua, abgeleitet von der Klassizistischen Antiqua. Der Klassizistische Charakter wird vor allem bei den fetten Schnitten durch die Verstärkung der Grundlinien in der Horizontalen und der Haarlinien in der Vertikalen deutlich – es ergeben sich ruhige, aber statische Zeilen.
Beispiele: Akzidenz-Grotesk (1898), Helvetica (1957), Neue Helvetica (1983), Univers (1957), Imago (1982)

Lineal Grotesque – Amerikanische Grotesk – Parallel entstanden in den USA Schriften, die weniger von einem stilistischen Programm als von praktischen Anforderungen bestimmt sind: größere Mittellängen, offenere Binnenformen, ausgeprägtes Dick-Dünn (vor allem bei fetten Schnitten), die Einführungen der runden in die geraden Formen sind stark verjüngt – eher statisch, praktisch, offiziell.
Beispiele: Franklin Gothic (1904), News Gothic (1908), Bell Gothic (1938), Vectora (1991)

Lineal Geometric – Konstruierte oder Geometrische Grotesk – Entstand mit den Überlegungen zum Funktionalismus der Moderne Anfang des 20. Jhdt. durch extrem vereinfachte Formen ohne jeden Bezug zur handschriftlichen Herkunft: geometrische Formen, gleichstarke Linien. Das Skelett der Grundform sollte zum Buchstaben werden – schwer lesbar, formalistisch, "schön".
Beispiele: Futura (1927), Avant Garde (1970er), Avenir (1988)

Lineal Humanist – Jüngere, Dynamische oder Humanistische Grotesk – Die Linear-Antiqua, abgeleitet von der Renaissance-Antiqua, entstand Ende der 1920er: gedrehte Achse, verjüngte Linien, "innere Bewegung" – warmer Charakter, lesefreundlich, dynamisch, gut kombinierbar mit Renaissance-Antiqua Schriften.
Beispiele: Gill Sans (1930), Frutiger (1975), Meta (1991), FF Scala Sans (1999)


"Helvetica", 2007, Dokumentarfilm zur Schrift von Gary Hustwit (1:21:50 Min.)
Fonts in Use, Archiv mit ausgewählten Beispielen zur Verwendung von einzelnen Schriften
Typewolf, Archiv mit Informationen zu einzelnen Schriften

Typedia, eine Art Cross aus IMDb und Wikipedia zu Schriften